Leserbrief von Wolfgang Schreiner, Esslingen am Neckar,
zum Artikel „Kretschmann attackiert die SPD-Führung“
in der Eßlinger Zeitung vom 30.12.2019
Unser Ministerpräsident teilte laut „Esslinger Zeitung“ dem „Tagesspiegel“ seine Einschätzungen künftiger Koalitionen auf Bundesebene mit. Vor allem der SPD warf er Unglaubwürdigkeit vor, „die sich rächen wird.“ Auch die Linken erhalten von ihm keine Chance auf Mitarbeit in einem rot-rot-grünen Bündnis. Im Besonderen möchte ich seine Aussage kommentieren, dass mit der Linken „keine moderne Wirtschaftspolitik“ zu machen sei.
Sofort schwante mir, dass diese Aussage unglaubwürdig ist und wohl nur seinem Bauchgefühl entsprang. Ich habe die Bundestagswahlprogramme 2017 der Linken und der Grünen ausführlich verglichen und in den Kapiteln Wirtschaft und Forschung sehr viele Ähnlichkeiten entdeckt. Stichworte wie beispielsweise „sozial-ökologische Modernisierung“, „Großkonzerne auf das Gemeinwohl verpflichten“, „Wirtschaft, die nicht blind immer weiter wachsen muss“ und „ökologische Modernisierung nur mit guten Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung und tariflichem Schutz“ und viele andere mehr sind in beiden Programmen enthalten und werden mit vergleichbaren Hintergründen und Forderungen unterfüttert. Konsequenterweise müsste also für Kretschmann auch mit den Grünen „keine moderne Wirtschaftspolitik“ machbar sein. Das wäre ja aber offensichtlich absurd.
Mich hat erschüttert, wie unreflektiert unser Landesvater Meinungsmache betreibt. Gerade er, der sich rühmt, den Dingen umfassend auf den Grund zu gehen und ausgewogene Entscheidungen herbeizuführen. Vielleicht aber hat auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik durch seine immer größere Nähe zu den Führungszirkeln unserer baden-württembergischen transnationalen Konzerne seine Reflexionsfähigkeit für das große Ganze etwas gelitten. Für die auch in der grünen Programmatik geforderte „sozial-ökologische Modernisierung“ sind jene, meist männlichen Strippenzieher sicher nicht die richtigen Partner. Ebensowenig sein derzeitiger Koalitionspartner auf Landesebene. Für einen solchen zukunftsweisenden Weg stehen andere politische und zivilgesellschaftliche Kräfte gerne bereit, einen fairen Diskurs auf Augenhöhe vorausgesetzt.