Kreistagsrede von Wolfgang Schreiner zu:
Neubau Landratsamt Esslingen ‒ Machbarkeitsstudie
der Begriff Machbarkeitsstudie wiegt in der Regel schwer, basieren doch auf ihm oft weitreichende Entscheidungen. Zwei unterschiedliche Arten von Machbarkeitsstudien sehe ich: einmal die Prüfung, ob ein Vorhaben, meist technischer Natur, überhaupt machbar ist, zum anderen mal sind es Studien, die ermitteln, welche von mehreren bereits als machbar angedachte Alternativen wohl die beste ist. Hierbei geht es häufig eher um eine wirtschaftliche und nutzenorientierte Betrachtung. Eine solche Betrachtung liegt uns nun aktuell in Form der vom Büro Drees & Sommer erstellten Studie vor.
Rein technisch machbar sind durchaus alle untersuchten Gebäude- und Prozessvarianten. Aus diesen herausgefiltert hat die Studie, nach sehr intensiven Beratungen auf vielen Ebenen, die sogenannte Variante 2a, um die es im Folgenden geht. Aus unserer Sicht wurden alle absehbar Betroffenen mit ins Boot genommen: die Verwaltungsspitze, die Dezernate und diverse Amtsleitungen, die Haushälter, die Personalvertretung, die Esslinger Stadtplaner und nicht zuletzt die politischen Mandatsträger und Mandatsträgerinnen. Wir möchten an dieser Stelle unsere Anerkennung für die bisher geleistete Arbeit ausdrücklich betonen.
Einige uns wichtige Aspekte möchten wir aufgreifen und kommentieren:
In einem „Workshop Sonderflächen“ wurden die Bereiche bzw. Funktionen Politik, Schulung, Foyer und Besprechung abgestimmt. Den Kapazitäten der beiden Sitzungssäle mit 250 Plätzen bestuhlt, alternativ 130 Plätzen mit zusätzlichen Tischen im großen Saal respektive 100 Plätzen im kleinen Saal können wir zustimmen, der Mitbenutzung des Schulungsbereiches für Fraktionssitzungen ebenso, hier kommen sinnvolle Synergien zum Tragen. Ein Wermutstropfen allerdings ist aus unserer Sicht die Idee, den großen Saal für Kreistagssitzungen wie ein großes Klassenzimmer einzurichten, á la Frontalunterricht sozusagen (siehe Anlage 1, Seite 14). Eine Parlamentsatmosphäre kann hier überhaupt nicht aufkommen, weder für Kreisräte noch für Besucher und Pressevertreter. Von den jeweils anderen Sitzungsteilnehmern und gegebenenfalls Fragestellern sehen die meisten nur den Rücken. Wir empfehlen, eine klassisch gerundete Sitzordnung für Plenarsitzungen und die hierfür erforderliche Raumgeometrie vorzusehen.
Apropos Geometrie: im Kapitel 2 der Anlage 1 (ab Seite 19) werden drei denkbare Gebäudemodelle vorgestellt. Der Fokus liegt auf der sogenannten „Kammstruktur“. Sie wirkt zwar relativ aufgelockert, versiegelt aber wesentlich mehr wertvolle Grundstücksfläche als die Variante 2, der mit mehr Geschossen ausgestattete „Kubus“. Nach dem Grundsatz „Höhe statt Fläche“ in unserem engen Neckartal empfehlen wir eine solche Variante, zumal an dieser Stelle städtebaulich keine sonderliche Zurückhaltung bei der Geschosszahl nötig scheint. Selbst die Firma Festo hat Mut zur Höhe mit ihrem neuen Tower bewiesen, und der steht nun wirklich an einer wesentlich prominenteren Stelle.
Der für die letztendlich bezahlende Bürgerschaft äußerst wichtige Aspekt der Kosten wurde elegant in den Bereich des Machbaren gerückt, indem die Gesamtzahl der in Zukunft auf 900 geschätzten Arbeitsplätze dividiert wurde: nach neuester Information 680 in den Esslinger Neubau und 220 in einen vorgezogen zu erstellenden Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Plochinger Krankenhauses. Den Hauptausschlag hierfür geben die sehr deutlichen Einsparungen bei den Interimsmaßnahmen, da die 220 Plochinger Arbeitsplätze direkt aus dem Bestandsbau heraus bezogen werden können. Diesen Schachzug gehen wir gerne mit, zumal in den Treffen des Steuerungskreises, bestehend aus den politischen Vertretern und der Lenkungsgruppe Verwaltung, ausdrücklich betont wurde, dass von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die für diese Versetzung infrage kommen, eine hohe Bereitschaft für den Umzug signalisiert wurde.
Zustimmung geben wir auch für die Ausführung der Neubauten als KfW 40 Effizienzhäuser, die sich in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung über 50 Jahre hinweg als die günstigste erweist. Nebenbei allerdings angemerkt: wer kann wirklich 50 Jahre überschauen? Der Bestandsbau schaffte eine solch lange Betriebszeit mitnichten! Gehen wir aber davon aus, dass wir heute schlauer sind und durch die sehr flexibel und variantenreich gestaltbare Nutzung der Neubauflächen künftige wechselnde Anforderungen leicht erfüllen können. Wichtig ist uns unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit der Einsatz von Recycling-Baumaterialien, besonders von Recycling-Beton. Bereits in 2017 beantragten wir in der Regionalversammlung unter dem Titel „Ressourcenleichte Modellregion Stuttgart“ die Förderung von ökologischem Gebäudedesign im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips. Dem Kreistag vorliegende ähnlich lautende Anträge tragen wir selbstverständlich mit. Übrigens: beim Neubau der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen in der Esslinger Bahnhofstraße wurde bereits Recycling-Beton eingesetzt.
Des Weiteren begrüßen wir die große Bereitschaft aller Beteiligten, im Esslinger Neubauprojekt eine Kindertageseinrichtung zu berücksichtigen. Der augenblickliche und wohl auch zukünftig zu erwartende Fachkräftemangel erfordert es, als attraktiver, familienfreundlicher Arbeitgeber aufzutreten. Die Einbeziehung der Kita in die örtliche Bedarfsplanung der Stadt Esslingen reduziert das Risiko einer eventuellen Minderauslastung erheblich. Ein Dankeschön hierfür an die Initiatoren dieser Kooperation. Leider aber können die für den Standort Plochingen vorgesehenen Beschäftigten hiervon nur träumen. Für diese Beschäftigten beantragen wir deshalb die Prüfung einer in etwa vergleichbaren Lösung in Zusammenarbeit mit der Stadt Plochingen.
Ein kurzes Wort noch zu den auf den heutigen Kreistagsbeschluss folgenden Ausschreibungen bzw. Verhandlungen mit einem zu beauftragenden Totalunternehmer: sowohl Sozialstandards, Tarifbindung, Arbeitssicherheit, Berücksichtigung der bis Mitte 2020 umzusetzenden überarbeiteten EU-Entsenderichtlinie (Stichwort „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“) als auch nachweisbar fair produzierte Materialien u.ä. gehören für alle mit dem Bau Beschäftigten in die Auftragsbedingungen, verbunden mit gründlichen unangemeldeten Kontrollen, auch aller Subunternehmen, von befugter Seite. Das Vergaberecht bietet hierfür mittlerweile einige Möglichkeiten. Es darf auf keinen Fall sein, dass wir einen Bau, der im Wesentlichen der öffentlichen Daseinsvorsorge dient, letztendlich auf dem Rücken der Bauarbeiter und Materialproduzenten als „machbar“ kalkulieren. Ohne die erwähnten Vergabekriterien ist für uns solch ein Projekt nicht machbar.
Zum Schluss: längst nicht alle erwähnenswerten Aspekte habe ich aufgegriffen, es hätte den
zeitlichen Rahmen dieser Rede gesprengt. Einen Aspekt aber halten auch wir von der Fraktion DIE LINKE, wie andere Fraktionen ebenso, für sehr wichtig, und zwar eine schlüssige Kommunikation in die Öffentlichkeit hinein, warum denn nun der noch nicht sehr alte Bestandsbau wirklich weichen muss. Die Frage danach ist immer(!) die erste, die in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern des Landkreises gestellt wird. Allein die Kostenvorteile eines Neubaus gegenüber einer Altbausanierung reichen nicht, zumal diese nur sehr, sehr knapp ausfallen. Betont werden müssen die qualitativen Vorteile sowohl einer künftig sehr anpassungsfähigen Gebäudeflächennutzung und -infrastruktur, als auch die eines sehr hohen Energie-Effizienzstandards. Architektonisch trauert sicher kaum jemand dem Altbau nach, im Gegenteil: ein mutiger Wurf, für die jüngste Esslinger Baugeschichte eher selten, wird sicherlich große Zustimmung erfahren.
Unser Fazit zur Machbarkeitsstudie lautet: Variante 2a machen.