Verkehrte Verkehrspolitik und nachhaltige Mobilität
so der Titel einer Veranstaltung der Linken Kirchheim mit dem Referenten Christoph Ozasek, Fraktionsvorsitzender der Linken der Regionalversammlung Region Stuttgart und Kommunalpolitiker im Stuttgarter Gemeinderat.
„Das Zeitfenster um den Klimawandel einzudämmen ist extrem kurz“, erinnert Ozasek, „Es geht um die nächsten paar Jahre. Jetzt entscheidet sich, ob die Kipp-Punkte, die eine unbeherrschbare Kettenreaktion in Gang setzen könnten, vermieden werden . Die Klimapolitik ist also existentiell.“
Heinrich Brinker, Sprecher der Linken für den Kreis Esslingen, ergänzte den Vortrag um die lokalen Bezüge. Demnach ist nach einem Beitrag von SWR aktuell aus dem Jahr 2016 in Baden Württemberg der Verkehr mit 30 % Anteil am CO2-Aufkommen, das größte Problem, noch vor der Strom- und Wärmeproduktion. Weit abgeschlagen, mit 19% folgen die Abgase aus den Haushalten.
Die CO2 Emissionen im Verkehrssektor wachsen weiterhin stark an. Die Anzahl der Autos ist so hoch wie nie. Kirchheim gehört dabei mit zu den traurigen Rekordhaltern, mit 552 Autos pro 1000 Einwohner, wie in den letzten städtischen Erhebungen aus dem Jahr 2011 zu lesen ist. Neuere Daten für Kirchheim existieren nicht, doch die Tendenz ist stark steigend.
Baden Württemberg hat die höchsten Kosten für Klimaschäden vor allen anderen Bundesländern. Hier schlägt der Klimawandel besonders hart zu, wie an den Jahr um Jahr neuen Hitzerekorden, den Hagel- und Starkregenereignissen, Überschwemmungen, den Hitze- und Extremwettertoten zu sehen ist. „Das liegt mit daran, dass unsere Siedlungsgeschichte entlang der Flussläufe stattgefunden hat“, ergänzt Ozasek „die Herausforderung ist jetzt, die Städte und Kommunen an den Klimawandel anzupassen“.
Für Ozasek ist das Auto das ineffizienteste Mittel zur Fortbewegung: Es verschlingt enorme Summen etwa für Infrastruktur und die verschiedenen Steuererleichterungen, wie Pendlerpauschale, Firmenwägen, ect. und es wird nur etwa 6% des Tages genutzt. Den Rest steht es rum und verbraucht auch dabei enorme Flächen. Im Schnitt fahren 1,1 Personen pro PKW. Steigendes Gewicht und die abnorm gesteigerten Motorleistungen sorgen für immer mehr Treibstoffverbrauch. Das Auto bringt CO2- und Luftverschmutzung, Zersiedelung, Flächenfraß und Landschaftsverbrauch. Durch Verkehr entstehen Orte in Städten, an denen sich niemand mehr aufhalten möchte. Jeder 3. in der Region Stuttgart wird krank durch Lärm. Auch Pendeln ist nicht gesund. Deutschlandweit sterben jährlich 70 000 Menschen durch Feinstaub und 100 000 durch Stickstoff. „Die gesellschaftlichen Kosten des Autos sind gigantisch“.
Wie ist dem beizukommen? Dazu erinnert Ozasek daran, dass die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit eine Erfindung der klassischen Moderne ist, ebenso wie die Entwicklung der Städte zu reinen Autostädten. In Stuttgart wurden ganze Häuserzeilen für die Stadtautobahnen abgerissen.
Immer mehr riesige Bürotürme zu bauen, die gigantische Blechlawinen nach sich ziehen und Einfamiliensiedlungen, die eine zu geringe Dichte haben, für vernünftige Nahversorgung: keine Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, Kitas, oder Ärzte, – diese Entwicklung gilt es umzukehren.
Ozasek plädiert für eine Transformation der Städte und für starke Kommunen: die autogerechte Stadt weicht der Stadt für Menschen. Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Nahversorgung: alle Funktionen des Lebens sollen wieder vor Ort stattfinden. Digitalisierte Arbeitsplätze helfen dabei. Solcherart integrierte Quartiere mit hoher urbaner Qualität, jenseits der üblichen Betonburgen sollen entstehen. Nur noch dreckige und laute Industrie würde ausgelagert. Ein Großteil des Autoverkehrs fiele dann weg. Städtischer Raum wäre wieder benutzbar durch die Bewohner, Bachläufe könnten freigelegt werden, neue Gebäudezeilen könnten entstehen, Grünflächen, Spielplätze,… Straßen würden zurück gebaut, riesige Flächen wären wieder frei…
Ein Beispiel für die räumliche Einschmelzung des Autoverkehrs ist Kopenhagen, mit 62% Radverkehr, 8% Fußgänger und nur 9% Autoverkehr.
Der Stuttgarter Gemeinderat fasste den Entschluss, die Fußgängerzone massiv auszuweiten, den öffentlichen Raum wieder den Bewohnern zugänglich zu machen. Ozasek sieht dies als ersten Schritt und möchte solche Bereiche in jedem Stadtquartier sehen.
Der zweite wichtige Schritt ist ein ökologisch gestalteter Verkehr. Sein Stichwort: „Benutzen statt besitzen“ Zentraler Punkt dabei ist ein gut funktionierender Öffentlicher Nahverkehr, mit Rufbussen im ländlichen Raum, fairen Tarifen, Vorfahrt für die Förderung von Schiene, Bus und die Fuß- und Radverbindungen und die Vernetzung von öffentlichem Nahverkehr mit Fuß- und Radwegen und Auto- sowie Radsharing-Stellen.
Vorbild ist hier Bremen: Hier sind über Mobilitätspunkte und –pünktchen in jedem Stadtquartier Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs mit Auto- und Radsharingstationen miteinander verknüpft. Mit der Polygo Karte für unseren Nahverkehr, eine Erfindung der Linken aus dem Jahr 2009, können in der Region Stuttgart die Leihautos und Räder freigeschaltet werden.
Kirchheim ist im Radverkehr mit einer Quote von 14% gut aufgestellt, aber beim öffentlichen Nahverkehr erreicht Kirchheim mit 4% Nutzern noch nicht mal die Hälfte der bundesweiten Quote von 9%. Hier besteht also noch Handlungsbedarf.
In der anschließenden Diskussion waren der im Vergleich zu unseren Nachbarländern viel schlechterer Bahnverkehr eines der Themen, neben dem Schicksal der Autoindustrie und der E-mobilität.
Ozasek, auch Mitglied im Aufsichtsrat der Stuttgarter Straßenbahngesellschaft, erklärt die desolate Situation der Bahn so: „ Im Aufsichtsrat der Bahn sitzen Manager der Flug- und Autoindustrie. Die müssten da raus. Sie stehen in direkter Konkurrenz zur Bahn. Die wurde massiv geschröpft und der Güterverkehr der Bahn zugunsten der Straße und der Gigaliner zurück gedrängt.“
„Die Automobilindustrie setzt immer noch ganz auf den Verbrennungsmotor. Daimler steigt aus der Produktion von E-Bussen aus und Bosch aus der Akkutechnik. Derweil entwickelt China günstige E-mobile, auch für den europäischen Markt. Zusammen mit Indien sind sie uns bei der E-Mobilität um Jahrzehnte voraus. Und die Post baut Elektrosprinter: Von neuen Akteuren ist derzeit mehr zu erwarten. In der Autoindustrie werden die Arbeitsplätze abgewickelt: die Werkshallen sind durchgehend automatisiert mit nur noch ganz wenigen Mitarbeitern. Daimler und verdient mit Finanzdienstleistungen mehr Geld, als mit den Autos.“ so Ozasek, „Elektromobilität ist aber nur für Busse und den Logistikverkehr sinnvoll.“ Er erinnert an die vielen Milliarden, die für den Ausbau der Zapfstellen nötig werden und an die ökologischen Schäden durch die Gewinnung der nötigen Rohstoffe, oft mit Hilfe von Kinderarbeit. Die Energieversorgung müsste für die E-Mobilität in Baden Württemberg verdoppelt werden. Damit wäre das E-Auto noch ineffizienter als der bisherige PKW. Mit gleich vielen Autos, wie bisher, ändert sich wenig an den Folgen.
Daraus gekürzt: Pressemitteilung