Sehr geehrter Herr Landrat,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch ich möchte zu Beginn auf die Situation in Israel und Palästina eingehen. Die grausamen Terror-Angriffe der Hamas auf Israel am 07.Oktober, bei denen über 1.200 Menschen getötet wurden, verurteilen wir aufs Schärfste. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, kein wenn und aber, egal wie man die seit Jahrzehnten festgefahrene Situation in der Region politisch beurteilt. Terror, Antisemitismus und das Töten von Zivilisten dürfen nie eine Antwort sein. Gleichzeitig – und das möchte ich hier betonen – gilt unser Mitgefühl allen Opfern dieses Krieges! Hier gibt es kein menschliches Leid erster und zweiter Klasse. Die seit gut vier Wochen anhaltenden massiven Bombardements und die Bodenoffensive seitens der Israelischen Armee, fordern ebenso unermessliches Leid unter der palästinensischen Zivilbevölkerung, welche mittlerweile 5000 – 10000 Todesopfer – es ist schwierig hier genaue Zahlen zu bekommen – zu beklagen haben. Das Selbstverteidigungsrecht Israels darf nicht für einen Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk missbraucht werden! Das Existenzrecht Israels, als eine für Jüdinnen und Juden sicherer Staat anzuerkennen und gleichzeitig für die Rechte der palästinensischen Bevölkerung einzustehen, sind kein Widerspruch. Unsere Herzen sind groß genug all das gleichzeitig fühlen zu können. Deshalb stehen wir solidarisch an der Seite all jener demokratischen Kräfte, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen, die nicht zulassen wollen, dass Hass die Oberhand gewinnt, und die an eine Zukunft glauben, in der alle Menschen in der Region in Frieden, Würde und Sicherheit zusammenleben. Auch wenn dieser Wunsch aktuell so weit weg wie noch nie erscheint.
Es wurde heute außerdem schon viel über Finanzen geredet und auch ich möchte heute den Themenbereich der Finanzpolitik zum Schwerpunkt machen. Doch wenn man die finanzielle Situation und die Herausforderungen verstehen will, vor denen die Kommunen und Landkreise stehen, bedarf es vor allem einen Blick auf die Bundesebene!
Hier wird weiterhin unbeirrt das goldene Kalb der Schuldenbremse angebetet, obwohl mittlerweile alle ernst zu nehmenden Ökonomen dieses Instrument als unbrauchbar für die jetzige wirtschaftliche Lage in Deutschland betrachten. Kreditfinanzierte Investitionen etwa in Straßen, Schienen, Brücken, Bildung, Energiegewinnung werden unterlassen – mit teuren Folgen für künftige Generationen. Die Sparsamkeit von heute wird die Handlungsspielräume von morgen einschränken. Wenn das die vielzitierte Generationengerechtigkeit in diesem Zusammenhang ist, dann kann man dieses Argument nur noch als zynisch betrachten. Doch nicht nur notwendige Investitionen werden unterlassen. Noch schlimmer liest sich der Haushaltsentwurf der Bundesregierung – welcher in erster Linie ein Kürzungshaushalt ist.
Wie soll der Umbau der Verkehrs- und Energiesysteme hin zu einer klimagerechten Transformation gelingen, was soll Menschen Hoffnung auf ein sozial abgesichertes Leben machen, wenn diese Regierung alles kürzt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist? Hierzu mal ein kurzer Überblick:
– Bundesfreiwilligendienste: – 26% (53 Mio.)
– Umsetzung UN-Behindertenkonvention: – 13%
– Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: – 23% (angesichts der Corona Pandemie oder der Flut im Ahrtal eine geradezu groteske Entscheidung)
– Bundeszentrale für politische Bildung: – 21%
-Bafög: – 24%
-Freie Jugendhilfe: – 19%
Bis zum Montag dieser Woche war auch noch die Weiterfinanzierung des Deutschlandtickets in der Schwebe. Hier wurde im letzten Moment glücklicherweise umgesteuert. Der einzige Posten im Haushalt, welcher steigen wird, ist der Verteidigungsetat. Unter Fortschrittskoalition habe ich mir etwas anderes vorgestellt.
Eine aktuelle Umfrage unter Wohlfahrtseinrichtungen zeigt, dass angesichts der massiven Kostensteigerungen bereits jetzt rund 40 Prozent ihre Leistungen finanziell bedingt einschränken oder ganz einstellen mussten. Soziale Infrastruktur wird dem ideologischen Dogma der Schuldenbremse geopfert. Hier droht ein sozialer Kahlschlag, der auf alle Fälle verhindert werden muss! Die Ausgaben für die Verwaltung der Jobcenter sowie die Eingliederungsleistungen, also für Weiterbildungen der Arbeitsuchenden, sollen gar um eine halbe Milliarde Euro gekürzt werden. Die Jobcenter haben auf den Haushalt der Ampel bereits reagiert und angekündigt, massiv Förderungen abzubauen oder ganz einzustellen. Anstatt mit dem Bürgergeld einen neuen Start zu schaffen, mit mehr Beratung und Respekt, mit mehr Qualifizierung und Chancen für den Arbeitsmarkt, erzeugt diese Regierung Resignation und Zukunftsangst. Wer diese Politik zu verantworten hat, darf sich über alarmierende Wahlumfragen nicht mehr wundern.
Aber auch ökonomisch ist dieser Kurs der totale Wahnsinn. Keine Talkshow vergeht ohne Abgesang auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber es sind genau dieselben Politikerinnen und Politiker, die in den vergangenen Jahren dafür sorgten, den Gürtel immer enger zu schnallen und den Bundeshaushalt der viertgrößten Volkswirtschaft der Erde so zu führen wie die Kasse eines Kleintierzüchtervereins.
Was ist damit gemeint? Hier muss eine volkswirtschaftliche Selbstverständlichkeit immer wieder betont werden: Staatsschulden sind nicht vergleichbar mit Privatschulden! Deshalb ist die Metapher der schwäbischen Hausfrau – die in den letzten Jahren immer wieder für die Rechtfertigung der Schuldenbremse herhalten musste – schon immer falsch gewesen. Das entscheidende Ziel staatlicher Finanzpolitik muss die Sicherung der Tragbarkeit der Staatsverschuldung sein. Schulden sind nicht per se nachteilig.
Es widerspricht jeglicher ökonomischen Logik, zu versuchen, sich aus einer Rezension heraus zu sparen. Was es braucht sind gerade jetzt massive öffentliche Investitionen.
Wie es geht, zeigt überraschenderweise ein Blick in die U.S.A. – mitnichten ein Staat, welcher als sozialistisches Utopia bekannt ist. Präsident Biden setzt hier auf das völlige Gegenteil: massive staatliche Investitionen in Bildung, Brücken, Schienen, in Klimaschutz, in neue Fabriken im eigenen Land.
Nur Deutschland ist diesbezüglich auf einem Sonder-, man könnte auch Holzweg sagen. Das Institut der deutschen Wirtschaft – ebenso nicht als linker Think Tank bekannt – fordert eine Aussetzung der Schuldenbremse für öffentliche Investitionen: Zitat: „Es ist vertretbar, den Verschuldungsspielraum wachstumspolitisch zu öffnen, um wichtige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit zu ermöglichen“.
Diese engstirnige Obsession mit der Schuldenbremse wirkt sich selbstverständlich auf die kommunale Ebene aus. Es ist die öffentliche Infrastruktur die kaputt gespart wird, es sind die Schulen vor Ort die nicht saniert werden, es sind die Schwimmbäder die geschlossen werden usw. usf. Die Liste lässt sich weiterführen.
Der Sparkurs und die Verschuldung der kommunalen Ebene in Deutschland führt zur Einschränkung demokratischer Gestaltungsmacht der kommunalen Gremien. Nicht zuletzt aufgrund der immer steigenden Kosten der Flüchtlingsunterbringung – welche ja auch uns im Kreis beschäftigen – braucht es endlich eine Befreiung der Kommunen von Altschulden durch den Bund. Trotz des Versprechens aus dem Koalitionsvertrag ist vonseiten der Ampel nichts Substanzielles passiert, um die kommunale Ebene zu entlasten und besser auszustatten. Im Gegenteil, die Situation verschlechtert sich weiter.
Jedoch will ich an dieser Stelle hier nicht unerwähnt lassen, dass der Landkreis Esslingen trotz diesen Entwicklungen weiterhin in wichtige Bereiche investiert, seien es die 63,8 Mio. € in den Öffentlichen Nahverkehr, 17 Mio. € in Fotovoltaik oder in die Ausstattung unserer Schulen. Das ist der richtige Weg und findet auch unsere Unterstützung!
Im Folgenden möchte ich auf den zu verabschiedenden Haushalt eingehen:
– Finanzierungsleitlinien / Kreisumlage
So falsch es war, auf Bundeebene die Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben, so falsch war es die Finanzierungsleitlinien in der Juli Sitzung des Kreistags mit einem Automatismus zur Kreisumlage zu versehen. Beides sind vergleichsweise unflexible Regelsysteme, welche eine dynamische Anpassung auf die aktuelle Situation erschweren und somit auch den politischen Entscheidungsspielraum einschränken. Was wir nun davon haben, lässt sich anhand der massiven Steigerung der Kreisumlage um 8,1 Punkte auf 35,9 beobachten. Mit Verlaub, das war ein Griff ins Klo – man kann es nicht anders sagen. Deshalb schlagen wir vor, die aktuellen Finanzierungsleitlinien ruhen zu lassen und es dem neugewählten Kreistag nächstes Jahr zu überlassen, über diese Leitlinien zu beraten oder sie abzulehnen. Wir sind gespannt wie sich die Diskussionen darüber in den nächsten Wochen entwickeln.
– Wohnen
Ein Thema welches uns weiterhin beschäftigt ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Immer mehr Menschen können sich nicht mehr mit ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum selbst versorgen und sind vom Zugang auf den „freien“ Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Die Wohnungsfrage ist und bleibt die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Nun ist uns bewusst, dass die Möglichkeiten des Landkreises aufgrund einer nicht vorhandenen eigenen Wohnungsbaugesellschaft – über die beispielsweise unser Nachbarlandkreis Rems Murr verfügt – begrenzt sind. Deshalb schlagen wir ein kommunales Wohnraumförderprogramm vor, bei dem der Landkreis die Schaffung von sozialem Mietwohnraum in den Städten und Gemeinden finanziell unterstützt. Die Fördermittel sollen als Ergänzung zur schon bestehenden Landesförderung eingesetzt und für den Neubau und Erwerb von sozialen Mietwohnungen in den Städten und Gemeinden im Landkreis verwendet werden. Es handelt sich also um eine Komplementärförderung, die zusätzlich zur Landesförderung auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg gewährt wird. Auch das ist keine revolutionäre Idee unsererseits, sondern besteht seit 2020 erfolgreich im Landkreis Heilbronn. Es wäre eine Möglichkeit das Thema bezahlbares Wohnen endlich auch hier im Kreistag mitgestalten zu können!
– Sozialticket:
Stuttgart, Mannheim, Freiburg, Heidelberg, Ulm, Landkreis Heilbronn und der Landkreis Göppingen. Was haben all diese kreisfreien Städte und Landkreise gemeinsam? Richtig, sie verfügen für ihre Einwohnerinnen und Einwohner mit nur geringem Einkommen über ein Sozialticket oder eine vergleichbare Regelung, die es ermöglicht auch mit kleinem Geldbeutel mobil zu sein. Wir fordern in einem interfraktionellen Antrag, dass sich der Landkreis für ein einheitliches Sozialticket – angegliedert an das Deutschlandticket – im gesamten VVS einsetzt. Der Landkreis Tübingen führt genauso ein Ticket zum 1. März 2024 ein! Auch hier lohnt es sich, den Blick außerhalb der Gemarkung unseres Landkreises zu lenken.
Nun weiß ich ja aus den vergangenen Jahren – es ist ja nicht der erste Antrag zu diesem Thema – dass die Mehrheit im Kreistag immun gegen die sozialpolitischen Argumente für ein solches Ticket ist, weshalb ich es mal mit einem ökonomischen Ansatz versuche: Durch die Einführung eines Sozialtickets, sprechen wir einen Teil der Bevölkerung an, welcher sich zum Großteil das Deutschlandticket nicht leisten kann und deshalb entweder sporadisch Einzeltarife nutzt oder im schlimmsten Falle ohne Ticket fährt. Sicherlich eine Größe die nicht zu vernachlässigen ist. D.h. durch ein Sozialticket können auch neue Kunden in die Abo-Struktur integriert werden und es entstehen sogar Mehreinnahmen durch die Gewinnung neuer Kundinnen und Kunden – wie die Erfahrung aus den verschiedenen Städten und Landkreisen deutschlandweit zeigt. Der Landkreis schmückt sich ja oft – und in den vielen Fällen durchaus berechtigt – damit, Vorreiter in bestimmten Themenbereichen zu sein. Hier jedoch hinken wir hinterher, es wird dringend Zeit das zu ändern!
Des Weiteren ist uns selbstverständlich auch der Klimaschutz ein Anliegen. Wie schon in der letzten Haushaltsdebatte stellen wir wieder einen Antrag zum Recycling von Baustoffen. Rund 30% der CO² Emissionen in Deutschland entstehen durch den Bau und die Nutzung von Gebäuden. Nun muss auch weiterhin gebaut werden – gerade, wenn wir beispielsweise bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen. Ein Teil dieser Emissionen kann durch ein besseres Recycling von Baustoffen eingespart werden. Hierzu soll der Landkreis gemeinsam mit den Kommunen vorbereitende Untersuchungen durchführen, um geeignete Standorte für das Recycling von Baustoffen zu sichern. Um das Recycling zu intensivieren, mangelt es insbesondere auch an der Bereitstellung der hierfür notwendigen Flächen. Diese könnten auch bei der Suche nach neuen Deponieflächen helfen, letztere deutlich zu reduzieren und die notwendige Umstellung der Bauwirtschaft von der Ressourcenverschwendung zur Kreislaufnutzung unterstützen.
Sie merken, auch dieses Jahr haben wir einen bunten Strauß an Vorschlägen, den Landkreis ökologischer und sozial gerechter zu machen.
Wie es sich gehört möchte ich mich zum Schluss noch bei der Verwaltung und insbesondere bei Herrn Klöhn für die Einbringung des Haushalts bedanken.
Als Linksfraktion sind wir gespannt auf die Haushaltsberatungen und hoffen auf konstruktive und zielführende Diskussionen!
Vielen Dank.